Am 15. Januar 2025 fällte die erste Zivilkammer der Cour de cassation ein mit Spannung erwartetes Urteil zum Ausgleich von Zuwendungen bzw. Schenkungen (im französischen Recht: rapport des libéralités) im Rahmen einer Erbauseinandersetzung. Die Entscheidung klärt, welche Beweise erforderlich sind, um bestimmte Beträge oder finanzielle Vorteile, die einzelne Erben zu Lebzeiten des Erblassers erhalten haben, in die Erbmasse einzubeziehen.
Sachverhalt: Streit um die Abtretung eines Erbanteils
Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1996 und der Mutter im Jahr 2011 entbrannte unter den drei Geschwistern ein Erbstreit.
Bereits 1999 hatte einer der Brüder seine Erbanteile im Rahmen einer Vergleichsvereinbarung an seine Geschwister übertragen. Gegenstand der Abtretung waren bewegliche und unbewegliche Nachlassgegenstände, darunter zwei Immobilien, die später in Parzellen aufgeteilt und einzeln verkauft wurden – ein Vorhaben, der dem Bruder beim Vertragsschluss nicht bekannt war.
Vier Jahre nach dem Tod der Mutter klagte der Bruder, der seine Erbanteile abgetreten hatte, auf Neuverteilung des Nachlasses das zuständige Gericht in Frankreich und verlangte insbesondere die Einbeziehung folgender Werte in die Erbmasse:
• Geldbeträge, die seine Geschwister zu Lebzeiten der Eltern erhalten hätten, sowie
• die Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf der Immobilien in Parzellen,
die seiner Ansicht nach von den Geschwistern verschwiegen worden seien.
Die zentrale Rechtsfrage: Müssen diese Beträge und Pluswerte im Wege des Ausgleichs in die Erbmasse aufgenommen werden – und wer trägt die Beweislast?
Was bedeutet der „Ausgleich unter Abkömmlingen“?
Die Ausgleichung von Zuwendungen ist eine wesentliche Regel im französischen Erbrecht.
Wenn ein Erbe vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten eine Schenkung oder einen Vorteil (genannt „Zuwendung“) erhalten hat, muss er diesen grundsätzlich bei der Aufteilung bzw. Auseinandersetzung des Nachlasses berücksichtigen: Man sagt, die Schenkung oder der Vorteil müsse dem Nachlass hinzugerechnet werden, das heißt, sie wird in die Erbmasse wiedereingefügt.
Ziel ist es, eine Gleichbehandlung aller Erben sicherzustellen – es sei denn, die verstorbene Person hatte einen anderslautenden Willen geäußert und das Gesetz erlaubt eine Ungleichbehandlung der Erben.
Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
• Eine Vermögensminderung beim Erblasser,
• eine Vermögensmehrung beim Abkömmling,
• und eine freigebige Zuwendung mit Schenkungsabsicht.
Fehlt einer dieser Voraussetzungen oder fehlt es an einem klaren Nachweis, ist ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen.
Die juristische Fragestellung im konkreten Fall: Voraussetzungen des Ausgleichs unter Abkömmlingen
Das Berufungsgericht in Nîmes hatte:
• die aus dem Immobilienverkauf resultierende Wertsteigerung dem Nachlass hinzugerechnet,
• die beiden Geschwister zur Zahlung von über 120.000 € an ihren Bruder verurteilt,
• unerklärte Abhebungen vom Bankkonto der Mutter ebenfalls in den Ausgleich einbezogen und
• 5.000 € Schmerzensgeld zugesprochen.
Die Cour de cassation (Kassationshof) hatte nun zu entscheiden:
- Kann ein nicht deklarierter Veräußerungsgewinn aus einer Immobilie als im Nachlass ausgleichspflichtige Schenkung angesehen werden?
- Wer trägt die Beweislast – der Abkömmling, der einen Ausgleich verlangt, oder die anderen Erben?
Die Gerichtsentscheidung: Grundsätze bestätigt
Die Cour de cassation hob das Urteil des Berufungsgerichts in drei Punkten auf:
- Erforderlichkeit einer freiwilligen Zuwendung
Nur eine echte Schenkung (Zuwendung ohne Gegenleistung, mit Vermögensverlust beim Erblasser) kann ausgeglichen werden.
Der Immobiliengewinn war im konkreten Fall keine Schenkung der Mutter, da sie daran nicht beteiligt war und sich nicht entreichert hatte: Es gab den Veräußerungsgewinn weder im Nachlass des Vaters noch im Nachlass der Mutter. Sie hat sich also zu Lebzeiten nicht entreichert, um manchen ihrer Kinder einen Vorteil zu verschaffen. Es liegt ein Verstoß gegen Art. 843 Code civil (französisches Pendant zu §§ 2050 ff. BGB) vor. - Beweislast beim Anspruchsteller
Wer den Ausgleich verlangt, muss den Beweis für eine freigebige Zuwendung erbringen.
Das Berufungsgericht hatte die Beweislast zu Unrecht den beklagten Geschwistern auferlegt. Das stellt einen Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Beweislastverteilung dar gem. Art. 1353 Code civil. - Fehlende Begründung
Die Annahme von Spenden in Höhe von 107.496 € wurde nicht ausreichend begründet, was gegen Art. 455 der französischen ZPO verstößt.
Was man aus dieser Entscheidung des Kassationshofs mitnehmen sollte
Es ist offensichtlich, dass das Berufungsgericht den Bruder und die Schwester dafür bestrafen wollte, dass sie beim Abschluss der Vereinbarung ihre Absicht verschwiegen hatten, die Immobilien in Einzelparzellen weiterzuverkaufen und dadurch erhebliche Gewinne zu erzielen.
Doch dieses Vorgehen hat nichts mit einer freigebigen Zuwendung der Mutter zu Lebzeiten zu tun. Das Gericht hat sich im Streitgegenstand geirrt. Dennoch bot der Fall die Gelegenheit, die Regeln darüber in Erinnerung zu rufen, was eine Zuwendung ist und wer deren Existenz zu beweisen hat.
Praktische Konsequenzen für Nachlassregelungen in Frankreich
Für das französsiche Erbrecht lassen sich aus dem Urteil wichtige Lehren ziehen:
• Wertzuwächse und Schenkungen sind nicht automatisch auszugleichen – sie müssen konkret belegt werden.
• Die Beweislast liegt beim klagenden Miterben, der den Ausgleich verlangt. Er muss nachweisen:
o dass der Erblasser sich entreichert hat,
o dass ein Abkömmling bereichert wurde und
o dass der Erblasser schenken wollte.
Fazit: Streit vermeiden durch klare Nachlassplanung
Diese Entscheidung zeigt: Gerichte (im internationalen Nachlass zuständig nach den europischen Regelungen) müssen differenziert prüfen, ob eine ausgleichspflichtige Zuwendung vorliegt. Um solche erbitterten Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich:
• Schenkungen zu Lebzeiten schriftlich zu dokumentieren, idealerweise notariell,
• bereits zu Lebzeiten klare Regelungen zu treffen, insbesondere bei größeren Vermögenswerten,
• und die Beratung durch einen erfahrenen deutsch-französischen Anwalt für Erbrecht in Anspruch zu nehmen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
Alle Urheberrechte vorbehalten
Bild: teerawat